Syrien - Auf der Suche nach dem Orient
Wir sind in Syrien doch so einfach, wie sich das dahin schreibt, war es nicht. Zunächst mussten wir uns durch Kilometer lange Lkw-Staus vor und hinter den türkischen Grenzposten kämpfen, dann durch die syrischen Einreiseformalitäten. Ohne die Hilfe eines deutschsprechenden Teeverkäufers, saessen wir wohl noch immer irgendwo im nirgendwo fest - das auszufüllende Einreise-Formular gibt es nur in arabischer Sprache. Dann gehts doch weiter, durch eine endlos scheinende, karge, rötlich-braune Hügellandschaft Richtung Aleppo. Radfahren wird hier zur Meditationsübung; stumpfes Kilometerfressen, am Ende über eine vierspurige Autobahn in die drei Millionen Stadt. Unser erster Wunsch: eine Dusche; Dreck, Stau und Ruß abwaschen, der mit Schweiß vermischt zentimeterdick auf der Haut zu kleben scheint. Doch der Hotelangestellte stellt uns auf eine weitere Probe, ersteinmal in aller Ruhe mit weiblichen Hotellgaesten ausfuehrlich kommunizieren. Es dauert fast eine Stunde, bis wir unser Zimmer beziehen dürfen.
Nachdem wir uns das Menschsein wieder erduscht haben, machen wir uns auf, den vielgelobten orientalischen Charme der Stadt zu erleben. Schnell macht sich auch Enttäuschung breit, denn Aleppo ist moderner als erwartet. Männer in traditioneller Kleidung sind ebenso in der Unterzahl wie vollverschleierte Frauen. Im Gegenteil, viele Aleppinerinnen würden in europäischen Städten kaum auffallen: eng sitzende Jeans, knappe T-Shirts und tiefe Ausschnitte sind auch in Aleppo angesagt. In den meisten Läden findet man die gleichen Produkte, wie bei uns zuhause. Vielleicht waren unsere Vorstellungen vom orientalischen Aleppo ein wenig zu romantisch.
Wir lassen den Abend an der Bar im Hotel Baron, zu Beginn des 20. Jahrhunderts die schickste Absteige der Stadt, ausklingen wie einst Lawrence of Arabia, Zaza Gabor und Agatha Christie, die hier alle schon einmal logiert haben. Seit dem sind weder Bar noch Hotel restauriert worden und ebenso angestaubt wie das Inventar wirkt das Personal hinter der alten Holztheke. Nur die Sitten haben sich geändert. Lawrence of Arabia hätte wohl kein Barkeeper eine geführte Tagestour in die Wüste angeboten ...
Doch die Moderne ist noch nicht überall angekommen. In Hama beispielsweise bietet sich ein gänzlich anderes Bild. Hier sieht man kaum eine Frau, die nicht verschleiert ist. Wir erfahren, dass Hama als eine der konservativsten Städte des Landes gilt. Hier schlug die Regierung vor 25 Jahren einen islamistischen Aufstand mit aller Brutalität nieder und zerstörte dabei die gesamte Altstadt. Inzwischen sind die meisten Häuser im alten Stil wiederhergerichtet worden, doch ihre ursprüngliche Ausstrahlung ist verloren gegangen.
Apropo verloren gegangen, dass wären am nächsten Tag auch fast unsere Pässe. Erst nach 50 Radkilometern bemerken wir, dass wir sie in Hama vergessen haben. Ein Telefonat mit dem Hotel bessert unsere Laune wieder auf. Der Hotel-Manager verspricht uns, sie am nächsten Tag mit einem Fahrer zur Kreuzritterburg Krak des Chevalier, unserem Etappenziel, zu bringen. Wenige Kilometer später der nächste Schock: Wir müssen mit ansehen, wie ein kleiner Junge von einem Auto erfasst, wie eine Puppe in die Luft und in den Straßengraben geschleudert wird. Kurzerhand wird der Unfall- in einen Krankenwagen umfunktioniert, der am Kopf blutende, weinende Junge auf den Beifahrersitz gepackt und wohl ins nächst gelegene Krankenhaus gefahren.
Nachdenklich nehmen wir den letzten, steilen Aufstieg unseres Tagesabschnitts in Angriff. Das Entsetzen über den Unfall verblasst unter den Anstrengungen; als wir am späten Nachmittag den Krak erreichen liegen 1.500 Höhenmeter und fast 100 Kilometer hinter uns. Früh treibt uns die Müdigkeit in die Betten. Die Besichtigung des Krak entlohnt für die Strapazen. Die Burg ist beeindruckend, sie gilt als die besterhaltene Kreuzritterburg im Nahen Osten. Auf einer Anhöhe gelegen, reicht der Blick von diesem Bollwerk, an dem selbst der große Saladin scheiterte, bis zur fast 50 Kilometer entfernten Mittelmeer-Küste und bis weit in die Ebenen im Landesinneren.
Einige Tage später kehren die Bilder des schweren Verkehrsunfalls noch einmal zurück, als wir nach Einbruch der Dunkelheit über Verkehrsinfarkt gefährdete Einfallsstraßen in Damaskus einrollen. Auf Fahrradfahrer nimmt hier keiner Rücksicht, doch wir müssen da durch. Nach einigen Irrungen und Wirrungen erreichen wir schliesslich unser Hotel froh noch am Leben zu sein
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